Der Vagus-Nerv und seine Bedeutung.

 

In  meinem letzten Text hatte ich angekündigt, etwas zum Vagus-Nerv zu schreiben. Der zehnte Hirnnerv wird von Stanley Rosenberg als der „Selbstheilungsnerv“ beschrieben, was die große Bedeutung dieses Nervs für unser Wohlbefinden in nur einem Wort beschreibt.

Ich versuche im folgenden Text kurz zu skizzieren worum es geht.

 

Unser autonomes Nervensystem (ANS), also das Nervensystem, welches für die unwillkürlichen Abläufe unserer Organe, verantwortlich ist, gliedert sich in den sympathischen (aktivierenden) und den parasympathischen (beruhigenden) Anteil. Doch diese Unterteilung greift etwas zu kurz.

Eine kurze Einführung in die Polyvagal-Theorie:

 

In der Regel wird die Aktivität des Parasympathikus als entspannend beschrieben, doch ein zu viel an Aktivität löst einen Totstellreflex aus, der sich z.B. In einer Dissoziation oder Ohnmacht spiegelt. Welcher Anteil des parasympathischen Nervensystems aktiv ist, entweder der entspannte und kontaktfreudige, oder der Anteil, der den Not-Aus betätigt, wird vom Vagusnerv gesteuert.

Diese unterschiedlichen Möglichkeiten des Vagus-Nervs auf Anforderungen in unserem Leben zu regieren, wurde von Stephen Porges in der Polyvagal-Theorie erforscht. Er erweiterte die Darstellung der Möglichkeiten des autonomen Nervensystems in seiner Reaktionsbreite von der Aktivierung und der Beruhigung um die dritte Möglichkeit des sich Totstellens.

 

Auch wenn wir in unserem alltäglichen Leben nicht mehr ständig um unser Leben fürchten müssen, reagiert unser autonomes Nervensystem immer noch wie das Nervensystem unserer Vorfahren. Ständig scannen wir unterbewusst unsere Umgebung nach Anzeichen von Sicherheit oder Gefahr, um adäquat darauf zu reagieren.

Ständig wechseln die drei Reaktionsmuster unseres Nervensystems. Und dieser Wechsel ist vollkommen in Ordnung und gesund. Problematisch wird es erst, wenn wir in einem der drei Zustände gefangen sind. Meistens zeigt sich das als Übererregung, oder Dissoziation. Dieses Verharren in einem Reaktionsmuster ist als Überlebensstrategien zu werten. Hierzu kommt es, nach Erlebnissen von großem psychischem, emotionalem, oder physischem Stress, wie z.B. durch ein Trauma.

Der Vagus

Nun ein wenig mehr über diesen Nerv,  dem heute unsere Aufmerksamkeit gilt. Der Vagusnerv, der Zehnte Hirn-Nerv, der auch der „herumschweifende Nerv“ genannt wird, ist der wichtigste und größte Nerv des parasympathischen Nervensystems und der längste unserer zwölf Hirnnerven.

Er entspringt nahe dem Hirnstamm und ist mit fast all unseren Organen verbunden. Nur die Wirbelsäule besitzt ein größeres Nervensystem als der Vagus. Somit ist sein Einfluss auf unser Wohlbefinden immens. Er steuert fast alle unbewusst ablaufende Körperfunktionen und ist somit lebensnotwendig.

Zum Beispiel:

Herzfrequenz und Verdauung

Atmung und Schwitzen

Blutdruck und Blutzuckerspiegel

Allgemeine Nierenfunktion

Freisetzung von Galle und Testosteron

Speichelsekretion und Tränendrüsen

 

Interessant ist, dass 80% der Nervenfasern des Vagus Informationen aus den Organen in das Gehirn (afferent) transportieren. Nur 20% der Informationen fließen in umgekehrter Richtung (efferent). (Hierauf habe ich im vorherigen Text Bezug genommen.)Er ist daran beteiligt, ob u. a. unsere Organe vermehrt oder verlangsamt arbeiten. Doch über seine Wirkung auf unsere Organe hinaus, nimmt der starken Einfluss darauf, wie wir in der Welt stehen.

Der Vagus teilte sich auf in den vorderen/ventralen Anteil und den hinteren/dorsalen Anteil.

Der vordere Vagus-Ast:

Er hat eine enge, teilweise anatomische Verbindung zu vier Hirnnerven (V, VII, IX und XI) die erklärt, wie der vordere Vagus-Ast reagiert. Diese vier Hirnnerven bearbeiten Informationen, die wir aus unserer unmittelbaren Umgebung mit unseren Sinnen wahrnehmen. (hören, sehen, riechen, schmecken).Aus den Eindrücken, was wir hören, sehen, riechen und schmecken, kann das ANS abwägen, ob wir uns sicher fühlen können oder uns in Gefahr befinden.

Der hintere Vagus-Ast

Das Haupteinflussgebiet des hinteren Vagus-Asts liegt unterhalb des Zwerchfells. Seine Fasern ziehen zu Magen, Leber, Bauchspeicheldrüse, Milz und zu Teilen des Dickdarms. Im nicht aktivierten Zustand übernimmt er die Steuerung der Verdauung. Im aktivierten Zustand sendet er dem Körper das Signal, die Aktivität der Organe extrem zu verlangsamen oder sogar einzustellen. Dieser Anteil des Vagus-Nervs ist somit mitverantwortlich für den sogenannten „Shut Down“, also dem sich Totstellen des Körpers. Der Informationsfluss richtet sich vom Gehirn an die Organe.

Deb Dana schreibt in ihrem Buch): „Seine Reaktion wirkt analgetisch (schmerzstillend – Anmerkung von mir) und schützt vor physischen und psychischen Schmerzen…. Wenn wir uns wie erstarrt, wie betäubt oder >> nicht hier<< fühlen, hat der dorsale Vagus die Kontrolle übernommen.(„Die Polyvagal-Theorie in der Therapie“, Jahrgang 2019, Seite 36)“ Er erfüllt somit eine wichtige Schutzfunktion des Körpers, wenn es um das Überleben geht.

Herz und Lunge, also der Blutkreislauf und die Atmung, werden von beiden Anteilen des Vagus beeinflusst.

 

Wieso ist das wichtig zu wissen?

Der Vagus wacht ständig darüber, ob wir in Sicherheit sind oder nicht, ständig passt er unsere körperlichen Reaktionen diesen Erkenntnissen an. Dies ist in der Regel ein unbewusster Prozess der unserem Schutz dient.

Wenn wir uns in Sicherheit wähnen, schlafen wir gut, haben eine regulierte Verdauung, sind entspannt und in der Lage, in Kontakt mit anderen Menschen zu treten. Dann ist unser Nervensystem reguliert. Doch registriert unser Nervensystem Gefahr, gelingt uns es meistens nicht mehr adäquat zu reagieren, sondern wir hängen in einem Reaktionsmuster fest. Diese Gefahr muss nicht aktuell vorliegen, sondern kann auch eine Erscheinung einer früheren Traumatisierung sein. Diese Traumatisierungen können sich bereits in vorgeburtlicher Zeit ins Zellgedächtnis eingebrannt haben. Je verborgener die Erinnerung an die Gefahr ist, desto schwieriger ist es für das Nervensystem sie einzuordnen und angemessen zu reagieren.

Dieser unbewusste Prozess des Erkennens von Gefahr und Sicherheit nennt sich Neurozeption. Diese Prozesse sind durch Kognition nur zum Teil zu beeinflussen.

Um adäquat zu reagieren, besitzt unser Nervensystem drei Reaktionsmuster.

1.

Wenn wir uns sicher fühlen, bestimmt das Social Engagement System (assoziiert mit dem ventralen Vagus) unser Verhalten. Dieses reguliert, wie wir mit anderen Menschen in Kontakt sind.

2.

Wenn wir in irgendeiner Form aktiv werden und Leistung erbringen müssen, übernimmt der Sympathikus die Führung.

3.

Nimmt das autonome Nervensystem ernsthafte Gefahr wahr, drosselt der Parasympathikus das Energieniveau der Organ-Steuerung auf ein Minimum. Immobilisation ist die Folge.

Wie gesagt, wechseln sich diese drei Anteile ständig ab, um den Herausforderungen unseres Alltags gerecht zu werden. Ein gesundes Nervensystem kann klar zwischen Gefahr und Sicherheit unterscheiden. Nur ein übererregtes Nervensystem reagiert ständig so, als ob es in Gefahr wäre. Also mit einem hohen Maß an Erregung, oder noch drastischer, mit dem totalen abschalten. Wenn unser Nervensystem traumatisiert ist, reagiert es ständig als ob wir in Gefahr wären. Dies bedeutet ein hohes Maß an Stress. Hieraus folgen eine Reihe krank machender Symptome.

 

Das Social Engagement System (SES)

Wenn ich mich sicher fühle, ich nicht bedroht werde und mein Körper gesund und auf wohltuende Weise eingebunden ist, dann befinde ich mich in einem Zustand, indem ich mich zuwenden kann. Sowohl anderen Menschen, als auch Dingen und Themen, die mich interessieren. Ich bin in der Lage zu lernen. Hieran ist aus neurologischer Sicht besonders der vordere Anteil des Vagus-Nervs beteiligt. Er formt den Zustand, der Gesundheit, Wachstum und Erholung erlaubt

Direkt mit dem SES-Nervensystem verbunden sind die Gesichtsmuskeln vor allem die Augenmuskeln und die Mittelohrmuskeln, welche auf die menschliche Stimme reagieren, die Kiefermuskulatur, der Kehlkopf und der Rachen. Außerdem ist dieser Anteil verantwortlich für die Verlangsamung des Herzschlags, die Senkung des Blutdrucks und die Unterdrückung von Erregung. Jeder von uns kennt, wie sich Stress besonders in dem Bereich des Kopfes und dessen Nackens auswirkt.

Diesen Anteil des Nervensystems gilt es also zu stärken, wenn ich emotional und sozial entspannt sein möchte. Die Arbeit mit diesem Anteil des Nervensystems trägt entscheidend zu einem guten und wohltuenden Kontakt mit mir selbst bei.

 

In einem nächsten Text werde ich auf die Möglichkeiten eingehen, die ich habe, um mein Nervensystem zu balancieren.

Wenn Du magst und einen Menschen kennst, den diese Themen auch interessieren, dann empfehle meinen Blog gerne weiter, denn es kann nicht genug Menschen geben, dich sich wohlwollend und interessiert mit sich auseinandersetzen.

 

Falls Du Verständnisfragen hast, oder mehr Informationen zu einem Thema möchtest, melde Dich gerne.

 

Buchtipp:

Stanley Rosenberg, „Der Selbstheilungsnerv“