Corona:

Einige Aspekte aus Trauma-therapeutischer Sicht

30.06.2020

 

Recht haben oder in Verbindung sein?

 

Wir leben gerade in einer Zeit, in der unser Nervensystem hoch aktiviert ist durch ein Geschehen, dass uns Angst macht, von dem wir uns bedroht fühlen, ohne die Bedrohung konkret greifen zu können.

Ich möchte vorab sagen, dass es mir hier nicht darum geht, den richtigen Umgang mit dem Thema COVID-19 zu postulieren, sondern einmal den Blick darauf zu lenken, was mit uns als Mensch in dieser  belastenden Zeit passiert.

Wir erleben gerade ein Geschehen, in der wir uns in Gefahr sehen und es ist erstmal unwesentlich, wo wir die vermeintliche Gefahr verorten. Die daraus resultierende Angst hat zur Folge, dass unser Nervensystem in einer ständigen Erregung verharrt und uns angemessene Möglichkeiten zur Regulation fehlen.

Kurz gesagt, führt ein übererregtes Nervensystem  zu dem, was wir als Stress empfinden.

Aus der Angst heraus beginnen wir zu polarisieren, wir verlassen unsere fühlende Mitte und tendieren zu einem oberflächlichen Richtig oder Falsch, tendieren zu einem stark problemorientierten oder besonders Ressourcen orientiertem Handeln. Bei der ersten Sichtweise verlieren wir die Ebene des selbstbestimmten Handelns, bei der zweiten ignorieren wir den Angstanteil in uns.

Da das Thema mit all seinen vielschichtigen Wirkungen so komplex ist, werden die Fragen die wir stellen, immer simpler und der Blick immer enger. Um das eigene Sicherheitsgefühl zu stärken, werden Menschen und Gruppen, die anders denken, diffamiert und lächerlich gemacht. Wir ziehen uns immer mehr in uns selbst zurück oder zu Kohorten zusammen, deren Gemeinschaftsgefühl daraus erwächst, an die „richtigen“ Dinge zu glauben. Daraus entsteht ein Dschungel unübersichtlicher und widersprüchlicher Informationen, die das Gefühl der Angst nur noch steigern.

 

Doch was passiert dadurch in jedem Einzelnen?

 

Unser Körper reagiert als Antwort auf die Sorge mit ständiger Anspannung auf die uns umgebende Unsicherheit. Evolutionär betrachtet, macht er sich bereit für den Kampf oder die Flucht, bzw. wenn die Angst zu groß wird, reagiert er durch Erstarrung. Dies sind ursprünglich Schutzmechanismen, doch wenn sich die darin enthaltene Energie nicht entladen kann, sondern im Körper gehalten bleibt, wird diese Spannung chronisch und führt zu unterschiedlichsten Symptomen. Denn wohin sollen wir fliehen und gegen wen oder was kämpfen?

Früher, besonders als Kind, war Wissen gleichbedeutend mit Wahrheit und die Wahrheit zu erkennen bedeutete Sicherheit. Sicherheit entstand aus dem Erkennen von wahr und unwahr. Diese Sicherheit schmilzt in der augenblicklichen Situation dahin und hinterlässt Angst. Aus dieser Angst resultieren Mistrauen, Wut oder Resignation.

 

Also was bleibt uns zu tun?

 

Da wir die Sicherheit nicht im Außen finden, ist es ein heilsamer Weg, wenn wir uns selbst liebevoll und wohltuend begegnen, indem wir unsere Gefühle und unser Körperempfinden wahr- und ernstnehmen. Nur wenn ich gut mit mir verbunden bin, kann ich selbstbestimmt und eigenverantwortlich agieren ohne den Kontakt zu meinem Gegenüber zu verlieren. Mein Körper sagt mir in der Regel sehr deutlich, wenn mir im Außen etwas begegnet, was mir nicht gut tut, und der beste Weg heraus aus der Ohnmacht ist es, ein Gespür für die Signale des eigenen Körpers zu entwickeln und ihm zu vertrauen. Das bedeutet nicht, dass der einzige Weg der Rückzug ist. Ich darf mir erlauben zu spüren, welcher Kontakt mir wohl tut und aus diesem Gespür heraus Kontakte kreieren in denen ich wahrgenommen werde und angstfrei wahrnehme.

Noch einmal zurück zur Evolution. Wir Menschen sind in der Rückschau den anderen Säugetieren deswegen überlegen, weil wir die Fähigkeit haben, uns gegenseitig Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Dies machte uns zur stärksten Spezies. Unsere unglaubliche Ressource ist es, in Verbindung zu sein mit Menschen, die mir nahe sind und denen ich vertraue. Der Stressabbau, den ich in einer wohlwollenden Beziehung erlebe, nennt sich auch Co-Regulation. Indem ich zum Ausdruck bringen darf, was mich bewegt und damit gesehen werde, reduziert sich der Stress in meinem System. Wenn ich erlebe, dass ich im Moment kein geeignetes Gegenüber habe oder mich alleine überfordert fühle, sollte ich mir erlauben, Unterstützung anzunehmen.

Es ist gut das Gewahrsein für den eigenen Körper zu schulen, z.B. indem ich, in mir angemessener Weise in Bewegung bleibe, um mich selbst zu spüren.

Es ist ein Balanceakt sich abzugrenzen, gegen das, was mir nicht gut tut, und gleichzeitig in Verbindung zu sein mit meiner Umwelt. Zu spüren, was Sinn macht in meinem Leben, ist eine unglaublich starke Ressource, die tief in mir verankert ist.

Sich weg zu bewegen von dem „richtig oder falsch“, hin zu einem „sowohl als auch“, entschärft Konfliktpotential, öffnet den Raum für kreative Lösungen und entlastet jeden Einzelnen dadurch ungemein. Wir sollten die Kunst des neugierigen und offenen Fragens und des gelassenen Zuhörens kultivieren, indem nicht Schuldzuweisungen und Machtinteressen, sondern die Gemeinsamkeit im Vordergrund steht.                Wertschätzung für uns und für die Ängste unserer Mitmenschen ist hierfür eine grundlegende Basis.

Anstatt angstschürenden Spekulationen zu folgen ist es wohltuend, achtsam bei sich zu verweilen, um  selbstbestimmt der Mittelpunkt des eigenen Lebens zu sein.